Musikgespräche

Anima Nova - Die Stimme seines Vaters

Pál Molnár jun. führt das Unternehmen seines Vaters weiter. Ein Interview.

Eine Alternative zum jahrhundertealten Stimmstock aus Holz ist die "Anima Nova" aus Carbon. In unserem ersten Blogartikel zum Thema (23. Juli) erfahren Sie mehr. Leider verstarb der Erfinder der Anima Nova, Pál Molnár, in diesem Jahr. Sein gleichnamiger Sohn, der ihn seit Oktober 2016 bei den Auslandsaktivitäten unterstützt hatte, führt das Unternehmen, gemeinsam mit seiner Mutter, im Sinne seines Vaters weiter. 2019 war Pál Molnár jun. das erste Mal Aussteller auf der Instrumentenausstellung SINFONIMA CUVÈE DARLING 2019. Die Zusammenarbeit mit ihm war so interessant und positiv, dass wir gerne mehr zur „Anima Nova“ wissen wollten. Das Interview mit Pál Molnár jun. lesen Sie hier.

Anima Nova Stimmstöcke in vier Größen (Foto: Martin Zwerf)

SINFONIMA: Was war die Motivation Ihres Vaters, statt des herkömmlichen Holzstimmstocks eine Alternative zu entwickeln?
Pál Molnár: Mein Vater war viele Jahre Stadtmusikdirektor und Leiter der städtischen Musikschule in Rastatt. Da an den Leihinstrumenten der Musikschule ständig etwas kaputt ging und er großes handwerkliches Geschick und Ehrgeiz besaß, fing er an, sich mit dem Geigenbau zu beschäftigen. Er besuchte Kurse, bildete sich in diesem Gebiet weiter. Aufgrund seines außergewöhnlichen Gehörs spezialisierte er sich mit der Zeit auf die Klangeinstellung. Professionelle Musiker vertrauten ihm regelmäßig ihre Instrumente an, um das Optimum an Klang aus ihren Instrumenten herauszuholen. Und weil der Stimmstock - neben anderen Komponenten - einen maßgeblichen Einfluss auf das Ergebnis einer Klangeinstellung hat, beschäftigte er sich sehr viel damit und kam so auf die Idee, einen höhenverstellbaren Stimmstock zu entwickeln. Als er 2009 in Ruhestand ging, machte er sich an die Realisierung dieser Idee. Dazu muss man wissen, dass man beim Stimmstock immer auf drei Dinge achten muss: auf die richtige Länge, auf die ideale Position im Korpus und auf die richtige Anpassung der Enden, damit sie im gewölbten Instrument perfekt aufliegen. Einen Stimmstock perfekt einzusetzen ist ein Prozess, der sehr viel Präzision und äußerste Sorgfalt erfordert.

Welche Funktion hat ein Stimmstock?
Dies ist eine komplexe Frage, die bis in alle Einzelheiten meines Wissens noch nicht erforscht ist. Soweit ich die Literatur überblicke, gibt es mehrere akzeptierte Funktionen. Der Stimmstock verbindet im Korpus des Instruments Decke und Boden. Diese Kopplung ist in vielfacher Hinsicht essentiell: Zum einen erhöht es die Steifigkeit des Resonanzkörpers, schließlich sollen die traditionell aus Fichte und Ahron gefertigten Membranen vereinfacht gesagt wie ein Lautsprecher funktionieren. Der Impuls der durch die Bogenbewegungen über die Saiten und den Steg an die Decke geleitet wird, wird durch den Stimmstock auf den Boden weitergegeben. Zum anderen schafft der Stimmstock einen Knotenpunkt, der für die unterschiedlichen Vibrationsmodi von großer Bedeutung ist – er schafft eine Asymmetrie im Resonanzkörper. Nicht zuletzt stützt der Stimmstock die gewölbte Decke und gleicht die durch die Saitenspannung nach unten wirkende Kraft aus und verhindert ein Einsinken der Decke. Akustikforscher finden Anima Nova insbesondere deshalb interessant, weil die Höhenverstellbarkeit ihnen neue Möglichkeiten eröffnet und die Erfindung meines Vaters dadurch zu einem besseren Verständnis der Funktionsweise eines Stimmstocks beitragen kann.

Und worin liegt nun konkret der Vorteil von Anima Nova?
Traditionell stellt der Geigenbauer den Stimmstock aus Fichtenholz her und passt ihn ins Instrument ein. Sollte ein Musiker mit dem Klang seines Instruments nicht mehr zufrieden sein und vermutet der Geigenbauer die Ursache hierfür bei der Stimme, hat er zwei Möglichkeiten. Entweder er nimmt Veränderungen an der bestehenden Stimme vor, z. B. verändert er die Position um Bruchteile von Millimetern oder aber er fertigt eine komplett neue Stimme. Die Veränderung der Position bewirkt in einem gewölbten Instrument immer zugleich eine Veränderung der Spannung und des Druckpunktes. Zugleich besteht das Risiko, dass die Enden des Stimmstocks sich nicht mehr perfekt an die Innenseite der Decke bzw. des Bodens schmiegen. Mit Anima Nova ist es erstmals möglich eine Klangeinstellung durchzuführen, indem man nur die Länge des Stimmstocks verändert – im Instrument und im Hundertstelmillimeter-Bereich! Mit anderen Worten: man kann die Spannung ändern, ohne die Position zu verändern. Kugelgelenke, die sich an die Wölbung im Instrument anpassen, sorgen dafür, dass Anima Nova immer vollflächig aufliegt. Mein Vater hat zu Lebzeiten Hunderten von Musikern Anima Nova persönlich eingebaut. 9 von 10 waren mit dem Ergebnis so zufrieden, dass sie Anima Nova kauften. Typische Rückmeldungen lauten z. B.: „Mein Instrument hat noch nie so schön geklungen“ oder „Die Spielbarkeit ist deutlich besser“. Unser diesbezügliches Versprechen lautet nicht: „Wir machen eine Stradivari aus Ihrem Instrument“, sondern „Wir holen das Beste aus Ihrem Instrument raus.“ Hierzu eine kleine Anekdote: Ein Geigenbauer, mit dem wir zusammenarbeiten, nahm fünf Geigen mit zu einer Instrumentenmesse. Drei davon waren mit herkömmlichen Fichtenstimmen ausgestattet, zwei mit Anima Nova. Während der dreitägigen Veranstaltung informierte er die Musiker nicht darüber, was in welchem Instrument verbaut war.Am letzten Messetag kam er zu unserem Stand und erzählte, dass er zwei Geigen verkauft hatte – die beiden, die mit Anima Nova ausgestattet waren.

Gibt es einen offiziellen Vergleich zwischen Instrumenten mit gut eingestellter und mit schlecht eingestellter Stimme?
Wir haben uns dagegen entschieden, Hörbeispiele auf unsere Webseite aufzunehmen. 
Ich denke, jeder Streichinstrumentalist hat im Laufe seines Lebens einschlägige Erfahrungen gemacht. Selbst eine wertvolle alte italienische Violine erreicht nicht ihr volles Potential, wenn sie nicht gut eingestellt ist. Beim Akustik-Workshop im US-Städtchen Oberlin, einem jährlichen Treffpunkt von renommierten Akustikforschern und Geigenbauern, wurde letztes Jahr ein Experiment gemacht: Anima Nova wurde in eine Violine eingebaut. Ein professioneller Geiger spielte das Instrument, in dem die Spannung mittels der vorhandenen Skala schrittweise erhöht wurde, nach jeder Veränderung erneut an. Es gab eine Einstellung, bei der nach Aussage des Geigers das Instrument am besten klang - eine Verlängerung bzw. eine Verkürzung der Stimme um 0,02 mm resultierte bereits wieder in einem schlechteren Ergebnis. So sensibel reagierte das Instrument auf minimale Spannungsänderungen. Dies bestätigt unsere Erfahrungen der letzten Jahre. Selbst in einem Kontrabass sind je nach Instrument Längenveränderungen der Stimme um 0,01 mm wahrnehmbar.


Das Bild stellt einen CT-Scan einer Geige im Querschnitt mit Holzstimme dar. Man kann gut erkennen, dass das obere Ende des hölzernen Stimmstocks nicht gut angepasst ist – so sollte es nicht sein.

Wie fiel die Entscheidung auf Carbon? Welche Vorteile hat Carbon im Gegensatz zum Stimmstock aus Holz?
Anfängliche Recherchen zeigten früh, dass die Idee einer höhenverstellbaren Stimme über 200 Jahre alt ist. Mein Vater fand zahlreiche Patente, die sich allerdings nicht am Markt etablieren konnten. Die für ihn naheliegende Lösung war, die Höhenverstellbarkeit über ein Gewinde zu realisieren. Also begann er Experimente mit vielen verschiedenen Materialien in diese Richtung. Carbon gehörte zunächst nicht dazu, weil in der technischen Literatur zu lesen war, dass es nicht möglich war, ein Gewinde in Carbon zu schneiden. Nachdem er mit seinen Experimenten aus unterschiedlichen Gründen keinen durchschlagenden Erfolg erzielte, machte er sich daran, ein Gewinde in Carbon zu schneiden. Nach monatelangen Versuchen gelang das Unterfangen und zu seiner großen Freude bewährte sich das Material im Praxistest – sowohl technisch als auch klanglich. Auf die Frage nach den Vorteilen von Carbon gegenüber Holz kann ich keine definitive Antwort geben. Mein Vater hat eine Stimme entwickelt, die immer perfekt sitzt und deren Länge im Hundertstelmillimeterbereich regulierbar ist. Welchen Anteil das Material am klanglichen Ergebnis hat, kann ich nur vermuten, da es keinen gesicherten Weg gibt, eine Holzstimme und Anima Nova an die exakt gleiche Stelle mit der exakt gleichen Spannung einzubauen. Wie bereits zuvor beschrieben hätten kleine Abweichungen bei diesen beiden Parametern das Potential, klangliche Unterschiede zu verursachen. Neulich traf ich einen Kontrabassbauer aus den USA. Er nahm am Kontrabassbau-Wettbewerb der International Society of Bassists teil und erhielt für sein Instrument, das mit einer Holzstimme ausgestattet war, eine Silbermedaille für Klang. In dieses Instrument baute er vor Ort eine Anima Nova ein, um für sich zu testen, ob das bereits sehr gut klingende Instrument noch verbessert werden kann. Seine Rückmeldung war positiv – jeder, der das Instrument gehört und gespielt hat, fand es mit Anima Nova noch besser in der Ansprache und der Klarheit. Zudem sei der Klang auch tragfähiger geworden. Die Vermutung liegt nahe, dass diese positiven Effekte auf das Material zurückführen sind, aber wissen tue ich das nicht.

Für welche Instrumente kann die Anima Nova genutzt werden?
Anima Nova ist für alle Streichinstrumente erhältlich: Violine, Viola, Cello und Kontrabass, egal ob alt oder neu, Sie finden Anima Nova mittlerweile in historischen Instrumente von da Salò, Maggini, Amati, Guadagnini, Testore, Tecchler, Grancino, Montagnana, Vuillaume, Lupot und Lott, aber auch in modernen Instrumenten von Zygmuntowicz, Greiner, Pöllmann, Haensel, Hiller und Stoll. Mein Vater hat Anima Nova auch in einige Gamben mit guten Ergebnissen eingebaut, aber die Hemmschwelle für Barockmusiker ist noch ein Stückchen höher. Ein Vorteil – Anima Nova ist von außen nicht sichtbar.

Was passiert mit der Stimme bei Schwankungen der Temperatur und Luftfeuchtigkeit?
Holz ist ein lebendiger Werkstoff, der arbeitet. Bei sich ändernder Luftfeuchtigkeit reagiert das Holz. Je nach Instrument ist diese Reaktion stärker oder schwächer ausgeprägt. Als Regel kann man sagen, dass die Wölbung der Decke im Sommer bei hoher Luftfeuchtigkeit zunimmt und im Winter bei trockener Luft abnimmt. Ein häufig zu hörender Irrglaube ist, dass der Holzstimmstock diese Änderungen mitmacht, weil er ja ebenfalls aus Holz ist. Tatsächlich verändert sich die Fichtenstimme in der Längsrichtung bei zunehmender Luftfeuchtigkeit kaum. Vielmehr schwillt sie im Durchmesser an. Deutlich wird das beim Kontrabass, wo viele Kontrabassisten für dasselbe Instrument mehrere Stimmstöcke haben. In Boston haben wir einen Kontrabassisten der Boston Symphony kennengelernt, der für einen Bass fünf unterschiedlich lange Stimmen hatte. Nun muss man wissen, dass die klimatischen Verhältnisse an der Ostküste der USA für Streichinstrumente sehr schwierig sind. In Deutschland haben es Musiker mit ihren Instrumenten deutlich einfacher. Aber bei hohen Schwankungen der Luftfeuchtigkeit bietet Anima Nova den zusätzlichen Vorteil, dass man durch die Höhenverstellbarkeit das perfekte Mittel hat, um die Länge des Stimmstocks an die jeweiligen klimatischen Gegebenheiten anzupassen.

Wie wird die exakte Länge des Stimmstocks pro Instrument dokumentiert?
Mein Vater hat auch daran gedacht und einen Stimmstock-Pass eingeführt, in den die wesentlichen Daten eingetragen werden. Wie bereits erwähnt verfügt Anima Nova über eine Skala, deren Werte eine verlässliche Dokumentation ermöglichen. Wir empfehlen, dass man das Instrument von einem Geigenbauer betreuen lässt.

Ich habe gelesen, dass insbesondere bei der Violine die Positionierung der Stimme den Klang wesentlich beeinflusst.  Ist die richtige Platzierung bei Cello und Kontrabass weniger wichtig?
Die Frage nach der richtigen Positionierung einer Stimme wird nicht einheitlich beantwortet. Es gibt unterschiedliche Herangehensweisen und Schulen. Zudem ist jedes Instrument ein Unikat – was in einem Instrument gut funktioniert, muss nicht unbedingt in einem anderen Instrument zum gleichen Ergebnis führen. Wir maßen uns auch nicht an, dem Geigenbauer zu sagen, wohin er Anima Nova stellen soll. Da hat jeder Geigenbauer seine eigenen Erfahrungen mit seinen Instrumenten. Wir stellen Anima Nova an eine bestimmte Stelle und arbeiten dann nur mit der Höhenverstellbarkeit. In den meisten Fällen erzielen wir in dieser ersten Position ein sehr gutes Ergebnis. Aber auch wir hatten Instrumente, in denen wir mehrere Positionen ausprobierten, bevor wir ein optimales Ergebnis erzielten. Bei Violinen ist uns aufgefallen, dass die Veränderung der Position in Richtung F-Loch bei manchen Geigen einen deutlich voluminöseren Klang ergab. Ich erkläre mir dieses Phänomen mit der dadurch geschaffenen größeren Asymmetrie und mit der damit einhergehenden größeren Luftvolumenveränderung. Aber ich bin kein Akustikforscher.

Schulen Sie jeden Geigenbauer hinsichtlich des Einbaus der Anima Nova? Und wie machen Sie das? Über webinare? Immerhin haben Sie mehr als 70 Geigenbauer als Partner in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Italien.
Wenn uns ein Geigenbauer kontaktiert und wir die Möglichkeit haben, den Geigenbauer zu besuchen, dann fahren wir natürlich gerne hin und stellen das Produkt vor. Im Idealfall lädt der Geigenbauer einen professionellen Musiker dazu ein und wir machen gemeinsam einen Vorher-Nachher-Test. Die Erfahrung hat uns gelehrt, dass dies die effektivste Vorgehensweise ist. Wenn ein Besuch nicht möglich oder erwünscht ist, haben wir natürlich eine Benutzeranleitung und ein Einbauvideo. Der Einbau ist nicht schwer, aber mancher Geigenbauer, der seit vielen Jahren mit Holzstimmen arbeitet, tut sich schwer damit, dass wir Anima Nova zunächst spannungslos im Instrument einbauen und er dadurch das gewohnte Gefühl für die Spannung verliert. Ein renommierter italienischer Geigenbauer sagte in diesem Zusammenhang einmal zu mir: „Ich muss mein Gehirn neu programmieren und das ist nicht einfach.“

Braucht man für das Einsetzen spezielles Werkzeug?
Ja. Traditionell wird die Holzstimme mit einem sog. Stimmsetzer aufgespießt und eingezogen. Carbon ist natürlich zu hart, da können Sie nicht reinstechen. Deshalb hat mein Vater ein Greifwerkzeug entwickelt, um Anima Nova in den Korpus einzuführen. Die Höhenverstellbarkeit funktioniert mittels zweier Achtkantschlüssel, die über die beiden F-Löcher eingeführt werden. (Foto: Schauppel PR)

Wie hoch ist der Druck, den die Saiten auf die Decke des Instruments ausüben?
Das ist ganz unterschiedlich und hängt vom Instrument, den jeweiligen Saiten und dem Brechungswinkel über dem Steg ab. In einem fünfseitigen Kontrabass kann der Druck deutlich über 70 kg liegen.

Ihr Vater hat sich das Wissen über viele Jahre selbst angeeignet, ausprobiert. Weshalb blieb er so viele Jahre konstant dabei, ohne aufzugeben?
Als Musiker hatte er ein klares Ziel vor Augen, als Handwerker Spaß an der Herausforderung und als Rentner die erforderliche Zeit.

Zu welchem Preis gibt es die Anima Nova und wo erhalte ich sie als Musiker?
Die UVP liegt zwischen 399,- €für die Geigenstimme und 599,- € für die Kontrabassstimme. Hinzu kommt das Honorar an den Geigenbauer für den Einbau und die Einstellung. Interessierte Musiker können sich entweder an einen unserer Geigenbaupartner wenden, die auf unserer Website https://www.anima-nova.de/ gelistet sind oder aber sie sprechen den Geigenbauer ihres Vertrauens an und bitten ihn, uns zu kontaktieren. Innerhalb Deutschlands stellen wir interessierten Geigenbauern Anima Nova vier Wochen auf Lieferschein zum Ausprobieren zur Verfügung. Ausländischen Geigenbauern bieten wir diese Testphase ebenfalls an, liefern allerdings nur gegen Vorkasse.

Hörbeispiel: Joel Quarringtons spielt J.S. Bachs Cello Suite Nr. 6 auf seinem Kontrabass von Giovanni Paolo Maggini, ausgestattet mit Anima Nova.

 

 

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Text von Isabelle 



 

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