Musikgespräche

Wir brauchen [...] das Konzert, um Musik in Gemeinschaft zu erleben, um Gemeinschaft an sich zu erleben"

Ein SINFONIMA-Interview mit Steven Walter

Im Leben läuft es selten nach Plan. Im Fall von Steven Walter läuft es trotzdem großartig. Zunächst etablierte er das Podium Esslingen. Heute ist er designierter Intendant des Beethovenfestivals Bonn. SINFONIMA sprach mit Steven Walter über seine aktuellen Herausforderungen, die Bedeutung von Konzerten für die Gemeinschaft, über die Lebendigkeit von Traditionen und Ritualen.

SINFONIMA-Interviewpartner Steven Walter (Foto: Copyright Daniel Barth)

Sie haben in den letzten Jahren eine enorme Karriere hingelegt. Zunächst etablierten Sie das Podium Esslingen, in dem man sich nicht scheut außergewöhnliche Programme in Off-Spielstätten aufzuführen. Sie wurden als Speaker zu den großen Kongressen und Festivals der Musik eingeladen. Und nun sind Sie designierter Intendant des Beethovenfestivals Bonn. Wie haben Sie auf diese Reise hingearbeitet?
Einem Musiker ist es selten gegeben, dass er die Rahmenbedingungen des Konzerts mitbestimmen kann. Mir ging es aber immer um Freiheiten im Musikschaffen, wie können wir das Große und Ganze gestalten? Schon zu Anfang meines Cellostudiums 2009, wollte ich das bei der Gründung des Podium Festival Esslingen umsetzen. Zu Anfang war das Festival studentisch und klein, nahm aber recht schnell die Dynamik an, die es zu der heutigen, recht großen Plattform führte. 
Zunächst nahm ich dieses Festival aus Sicht eines Musikers wahr, rutschte dann immer mehr in Fragestellungen aus Veranstaltersicht hinein. Auch heute noch betrachte ich Fragen, die sich mir stellen, aus Sicht eines Musikers: gesellschaftliche Verortung, Bewerben der Konzerte, politische Aufmerksamkeit schaffen für Musik. Für all das hatte ich keine Ausbildung, sondern bin meiner Neugierde und dem Rausch des Prozesses gefolgt. 
Aus dem Festival heraus wuchs eine große Community die gemeinsam arbeitete und den Erfolg mitbestimmte. Wir alle lernten dazu und dieser Prozess beflügelte uns immer weiter. 
Ich könnte heute sagen: Freude am Gestalten war die Maxime und ist es heute noch immer! Dass ich mit diesem Lebenslauf nun etwas so Großartiges wie das Beethovenfestival übernehmen darf ist schön, war aber nie der Plan.

2020: viel hatte sich seit 2009 in Esslingen entwickelt. Und nun war Beethoven Jubiläum in einem außergewöhnlichen Jahr. Welches Projekt hat Sie besonders geprägt?
Unser Fellowship-Projekt „Be Beethoven“ fing 2018 an und zog sich über drei Jahre. Wir waren auf der Suche nach Beethoven in der heutigen Zeit: was würde er heute tun, wie sich verhalten? Wie können wir das, was ihn damals prägte, in die heutige Zeit übersetzen? Die vielfältigen Entwicklungen, die Beethoven vorangebracht hat, kompositorisch und ästhetisch, Technologien im Klavierspiel, er prägte das Geschäftsmodell des Komponisten, interessierte sich für die politische und gesellschaftliche Dimension der Musik… All diese Fragen stellten wir uns und fragten uns: wie treiben sie uns heute um?
Die 12 Fellows waren drei Jahre in ganz Europa aktiv, 2020 sollte ihr Ergebnis im Podium Festival Esslingen präsentiert werden. Und es kam natürlich anders. Eingeschränkt. Verschoben vom Frühjahr in den Herbst. Aber wir haben es geschafft und sind sehr froh, dass das Podium Festival Esslingen und das Be Beethoven Festival in Bonn stattfinden konnten.

Damit wären wir schon bei den Veränderungen: das vergangene Jahr war bestimmt davon, von Flexibilität, von Absagen, von Hoffen und Bangen. Welche positiven Veränderungen aus dem letzten Jahr für neue Formate sehen Sie für die Zukunft und was davon planen Sie selber umzusetzen?
Ich glaube, die Pandemie wird einiges beschleunigen, was sich schon zuvor abzeichnete. Nun, wo Konzerte wieder erlaubt sind, wird man zunächst einmal einen Backlash erleben, viele Menschen werden Konzerte erleben wollen! Allerdings glaube ich, dass Konzerte zu etwas ganz besonderem werden. Es stellte sich ja 2020 die Frage: wie kann sich das Publikum selber unterhalten? Sind es Netflix und Co.? Sind es Streaminganbieter für Musik? Oder etwas ganz anderes? Denn wir brauchen das Konzert nicht, um Musik zu hören. Wir brauchen aber das Konzert um Musik in Gemeinschaft zu erleben, um Gemeinschaft an sich zu erleben.  Gemeinschaft wird das Konzert in Zukunft zelebrieren können, mehr als zuvor. Dafür müssen wir einzigartig Momente schaffen, so einzigartig wie unsere Sehnsucht nach Gemeinschaft.

Gemeinschaft im Konzert ist fast wie eine Tradition. Wie stehen Sie zu diesem Wort im Konzertkanon? Immer wieder wird Veränderung großgeschrieben und immer wieder wird gesagt, es wäre alles beim Alten.
Traditionen und Rituale sind etwas Wichtiges. Aber ich suche immer nach der Lebendigkeit darin. Und lebendige Traditionen sind radikal zeitgenössisch, sie sind kein Widerspruch!
Wenn eine Tradition gelebt wird, mit Leben gefüllt wird, Menschen dafür stehen und Menschen sie stetig weiter entwickeln im Sinne der historischen Tradition: dann ist sie etwas Wertvolles! Das bedeutet für mich aber nicht, dass es nur um meine persönlichen Traditionen ginge, auch wenn ich selber viele habe. Denn jede gelebte Tradition ist wertvoll.
Viele meiner Formate sind auf Traditionen aufgebaut, oder haben selber Traditionen erschaffen. So haben wir zum Beispiel in unserem Schaffen beim Podium Festival Esslingen über die Jahre Mikrotraditionen entwickelt.
Aber: Sobald die Tradition tot ist, oder nur fortgeführt wird, weil sie schon immer da war, dann möchte ich sie hinterfragen.

Und wie sieht es um die Tradition des Übens aus? Sie haben Cello studiert: Kommen Sie selber noch dazu, Cello zu spielen?
Ich spiele mein Instrument nach wie vor, jedoch schon seit einigen Jahren nicht mehr, um damit Geld zu verdienen. Dafür wurde ich in den letzten Jahren zu viel zum „Zusammenbringer“, „Ermöglicher“, „Kathalysator“ für diejenigen, die es ehrlich gesagt besser als ich können! Das Cello wurde zu meiner Psychohygiene, auch weil ich es wichtig finde, den Kontakt zum Musizieren, zum Klang und der Materie nicht zu verlieren.

Zur Psychohygiene gehört auch der Ausgleich. Was tun Sie, um Energie zu sammeln?
Gerade jetzt lebe ich in einer stressigen Zeit: noch bin beim Podium Festival Esslingen und bereite parallel dazu das Beethovenfest Bonn vor. Aber seit eineinhalb Jahren bin ich Vater und kann sagen, dass mein Kind mein liebster, wertvollster und wichtigster Ausgleich ist. Ich verbringe so viel Zeit wie möglich mit ihm, denn gerade jetzt entwickelt es sich so schnell und vielfältig, dass es für mich eine gewaltige Freude ist. Und: mein Kind ist ein wichtiger Perspektivwechsel, der mich auf den Boden der Tatsachen zurück bringt!


Interview und Text von Kathrin

 

Kennt ihr schon diese Artikel von Kathrin?
Interview mit Steven Walther
Interview mit David Skudlik
Interview mit Jonas Grunau

Zum Anfang