Musikgespräche

Kathrin Christians Presents

Frau Christians senior hat ein Experiment gewagt: Während der Schwangerschaft mit Kathrin spielte sie ihrer ungeborenen Tochter regelmäßig klassische Musik vor - in der Hoffnung, ein klassikinteressiertes, gebildetes Kind zu bekommen. Mittlerweile ist Kathrin Christians 30 Jahre alt und als Querflötistin regelmäßig auf nationalen und internationalen Bühnen zuhause. Auszeichnungen belegen ihr Können auch auf dem Papier. Bei Ihrem Auftaktkonzert ihrer eigenen Konzertreihe "Kathrin Christians Presents" im Landgut Lingental durfte SINFONIMA sich selbst ein Bild machen. Das Fazit: "Frau Christians senior: Wir finden, Sie haben es ganz richtig gemacht."

Foto: Mannheimer Versicherung AG

Doch nicht allein die Klassikbeschallung im Bauch hat Kathrin Christians zur Karriere verholfen. Ihre Orientierung an Vorbildern, wertvolle Unterstützung von außen, natürlich das Talent und ein starker Wille waren die weiteren wichtigen Komponenten.

Das Geld für die erste Querflöte verdiente sie sich als Kind mit langjährigem Blockflöten-Musizieren in der Fußgängerzone. Das Wissen, einen bekannten Komponisten in ihrer Familie zu haben, ihr Schwärmen für einen zehn Jahre älteren Freund der Familie, der als "Profi" mit Musik sein Geld verdiente, sie in ihrem Können bestätigte und ermutigte, dran zu bleiben, zeigten Wirkung. Kathrin entwickelte eine außerordentlich starke Motivation, auch in schwierigen Zeiten durchzuhalten. Sie war sich schon früh sicher, dass sie auch die schwierige Zeit der Pubertät überstehen wird, in der viele andere junge Musiker ans Aufhören denken.    

Nach einer akademischen musikalischen Ausbildung in Mannheim, Stuttgart und München und vielen Reisen um die Welt zu Wettbewerben und Konzerten hat sie gemeinsam mit ihrer Querflöte die schönsten Momente erlebt. Auf die Frage, welches denn der schönste Moment gewesen sei, antwortet Kathrin zunächst mit einem längeren, nachdenklichen Schweigen. Dann: " Ich glaube, das war Burkina Faso." Sie begleitete einige Mediziner, die zu Gesundheits-Untersuchungen in das Land reisten, das zu den ärmsten der Welt gehört, das aber andererseits über ein sehr großes kulturelles Angebot verfügt. Beispielsweise findet in Burkina Faso das größte Filmfestival von ganz Afrika statt und das Operndorf von Christoph Schlingensief zählt zu den wohl wichtigsten Kulturprojekten weltweit. In eben jenem Operndorf fand einer ihrer Auftritt statt.

Dort traf sie einen Mann, einen Musiklehrer der ersten Klasse einer Schule, die dort gerade aufgebaut worden war. Nachdem Christians den anwesenden fünfzig Kindern etwas auf ihrer Querflöte vorgespielt hatte, fragte der Lehrer sie, ob sie Lust hätte, noch gemeinsam mit ihm etwas für die Kinder zu spielen. Er wirkte sehr gebildet und kultiviert. Aber im ersten Moment traute Christians ihm nicht zu, sich mit klassischer Musik auszukennen. Ihre zustimmende Antwort klang somit etwas zögerlich, von wegen "ja schon, aber improvisieren kann ich nicht so gut" und "ihr verwendet ja ganz andere Harmonien als wir." Der Mann reagierte jedoch ganz unerwartet mit musikalischer Fachkenntnis: "Ist doch egal! Willst Du Dur? Willst Du moll? Zum Beispiel F-Dur? Oder lieber a-moll? Sag mir, was Du willst, ich habe in meinem Kofferraum die ganzen Instrumente, die ich in den verschiedenen Tonarten selbst gebaut habe." Christians fiel aus allen Wolken. Und so holte er eine Art traditionelles Marimbaphon hervor und die beiden spielten gemeinsam vor den 10-jährigen Kindern, während sie durch die Reihen liefen. Später erfuhr sie, dass dieser Mann ein komplettes Buch über die Harmonielehre und Musikgeschichte von Burkina Faso geschrieben hat. Aber eigentlich gibt es noch so viele besondere Momente, die Christians bereits erlebt hat und ihr während des Erzählens alle gleichzeitig einfallen.  Auch der nächste hat mit ihrer Liebe zu fremden Kulturen zu tun:

Ganz besonders im Kopf blieb ihr ein Erlebnis im Rahmen des diesjährigen Lucerne Festivals. Sie spielte dort in einer kleinen Kammermusikbesetzung, die neben dem eigentlichen Konzert auf dem Festival eine zusätzliche Vorgabe hatte: Die Besetzung sollte ein Konzert für syrische Flüchtlinge geben.

Dieses Konzert fand außerhalb von Lucerne in einem Flüchtlingsheim der Caritas statt. In einem proppevollen Saal. Alle Zuhörer waren äußerst schick gekleidet und freuten sich riesig auf das bevorstehende Konzert. Vor dem eigentlichen Konzert lockerte ein Musiker, der zur Organisation "Musicians for human rights" gehörte, die Atmosphäre mit allen Anwesenden, Zuhörern wie Musikern, mit einer sogenannten "body percussion" auf. Vor allem für die Kinder war das Einbeziehen des Körpers in die Musik ein tolles, außergewöhnliches Erlebnis. Auch das anschließende Konzert sorgte sichtlich für Begeisterung. Das Konzert einfach als kostenloses Geschenk anzusehen, kam für die syrischen Konzertbesucher nicht in Frage. Doch Geld stand ihnen als Zeichen der Wertschätzung nicht zur Verfügung. Eine Lösung musste her. So einigten sich der Veranstalter mit den Zuhörern darauf, ihre Rolle als Gäste in die Rolle der Gastgeber umzukehren. Es wurde ein gemeinsames, selbstgekochtes Essen für alle organisiert und das letztendliche "Riesenbuffet" wurde auf der Kiesterrasse aufgebaut. Ein wahrer Augenschmaus für die nicht-syrischen Musiker!

Nach dem Konzert ließ sich Kathrin Christians sehr viel Zeit für Gespräche mit den Zuhörern. Lebensgeschichten wurden so intensiv geteilt,  dass Christians das Essen  völlig vergaß. Bis ein Syrier dies bemerkte und meinte "ihr Musiker sollt euch doch als erste nehmen." Er nahm einen Teller für Christians und füllte ihn randvoll mit allerhand leckeren Speisen. Christians war unglaublich berührt von den Geschichten, die ihr die Menschen dort erzählten, von Ihren Schicksalen aber auch von Ihren Hoffnungen und der Art und Weise, wie sie die Schicksale verarbeiteten. Das Konzert schien etwas ganz Besonderes für diese Menschen zu sein, ein Stück Normalität im so sorgenvollen Alltag. Christians resümiert: "Es ist ein schönes Gefühl, Menschen für einen kleinen Moment ein Gefühl von Glück zu geben und sie für diesen Moment herauszuholen aus ihrem eingepferchten Leben. Das war auch für mich fantastisch." Zu spüren, dass ihre Musik den Zuhörern gefällt und sie berührt, das ist der Reiz, den das Musikerleben für sie ausmacht. "Schlimm" ist es hingegen " wenn das Publikum bereits 'satt' ist und nur zu Konzerten kommt, weil es dazugehört, und nicht, weil es sich durch die Musik berühren lässt.

Ein vergleichbares Glücksgefühl spürt sie auch, wenn sie selbst Zuhörerin eines Konzertes ist. Zuletzt stand sie beim Opernfestival Glyndebourne und Grau | Schumacher, einem Klavierduo in Mannheim vor der Bühne. Privat hört sie selten Pop oder andere Richtungen, meist Klassik oder Jazz. Seit ein norwegischer Freund sie in Norwegen in eine Jazzkneipe mitgenommen hat, hat sie eine besondere Leidenschaft für skandinavischen Jazz, da "er immer etwas Melancholisches hat. Die Weite Skandinaviens, das häufig sehr raue Klima, all das spiegelt sich auch in der Musik wieder", findet Christians.

Neben all den positiven Erlebnissen am Musikerberuf gibt es jedoch auch eine andere andere Seite. Eine, die weniger schön ist aber sich wohl in jeder Branche zeigt, wenn Menschen mit dem, was sie tun, Erfolg haben: Zu diesen Erfahrungen zählen Neid und Missgunst. Sei es, dass männliche Musiker die Musikerin und ihre Ideen oft nicht ernst nehmen oder Musiker selten auf ihre Erfolge reagieren. Wird ein neues Bild auf Facebook gepostet, ist die Reaktion immens und meist positiv. Berichtet sie über ein erfolgreiches Konzert, eine neue Kooperation etc., sind die "Gefällt mir"- Reaktionen meist verhalten, wenn überhaupt vorhanden. Nicht-Musiker hingegen freuen sich mit ihr und bringen dies auch zum Ausdruck, auch wenn die harte Arbeit hinter den Erfolgen selten gesehen wird. Das findet Christians manchmal schade. Ihre Leidenschaft zur Musik trägt sie jedoch über solche Erfahrungen hinweg.

Zum Schluss erzählt sie noch die Geschichte ihrer Querflöten. Ihre allererste Querflöte, die sie sich mühsam zusammengespart hat, hat sie viele Jahre als Zweitinstrument behalten. Nun aber einem Kind günstig verkauft, das vielleicht eine ähnliche Leidenschaft für Musik entwickeln wird. Zu ihrer aktuellen Querflöte (eine 18- Karat Muramatsu) kam sie eher ungeplant. Gerade war sie dabei, sich eine neue Querflöte zu kaufen, mit der sie alt werden wollte, als sie die Möglichkeit hatte, ein 18-karätiges Instrument zu spielen. Beim Ausprobieren war sie "direkt Feuer und Flamme für das Ding." Und dann dachte sie: "Ich muss es irgendwie möglich machen, so ein Instrument zu erwerben". Gesagt, getan - ein Jahr später war es so weit. Das Besondere an diesem Instrument? Es ist ein Sondermodell, denn es hat eine spezielle Klappe, die es serienmäßig eigentlich gar nicht gibt. Zudem wurde das Instrument von dem besten Werkstattbauer Muramatsus gebaut, den Christians sogar persönlich kennt und für ein "Genie" hält. Dadurch hat das Instrument für sie eine starke Emotionalität. Wir finden: Die Musik, die sie darauf hervorbringt, weckt definitiv die Emotionen der Zuhörer.

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Text von Isabelle

 

 

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