Musikgespräche

Die perfekte Saite finden

SINFONIMA im Interview mit dem renommierten Saitenhersteller Thomastik-Infeld aus Wien

Ein herausragender Musiker, ein 200 Jahre altes Meister-Streichinstrument und ein ebenso guter Bogen – fertig ist der perfekte Spielausdruck? Nicht ganz, denn auch die Qualität der Saiten trägt erheblich zur Stimmstabilität und somit zu einem guten Klang bei. Welche Unterscheidungsmerkmale zwischen Saiten gibt es eigentlich? Wie unterscheiden sich Darm- von synthetischen Saiten hinsichtlich ihrer Haltbarkeit und welche Faktoren beeinträchtigen die Haltbarkeit? Welche Möglichkeiten habe ich als Musiker, Saiten vor dem Kauf zu testen? Thomastik-Infeld aus Wien entwickelt und produziert seit 100 Jahren verschiedene Saiten für unterschiedliche Instrumente. Zur SINFONIMA CUVÈE DARLING konnten wir Thomastik-Infeld als einen unserer Aussteller gewinnen und genau die Fragen klären, die für Musiker wichtig sind.

Cellosaiten (Foto: Thomastik-Infeld GmbH)

Welche grundsätzlichen Unterscheidungsmerkmale von Saiten gibt es?  Wir denken z.B. an Länge, Dicke, das verwendete Material oder den Einsatzzweck
Seit 1919 entwickelt und produziert Thomastik-Infeld verschiedene Saiten für Streichinstrumente, aber auch Gitarren sowie andere Weltmusik-Saiteninstrumente wie die chinesische Erhu oder die arabische Oud. Jedes dieser Instrumente bedarf natürlich spezieller Saiten. Diese unterscheiden sich optisch beispielsweise durch die Seidenfarben an den Saitenenden – ein Erkennungsmerkmal verschiedener Saitentypen und -marken – und dem sichtbaren Umspinnungsmaterial. Nicht sichtbar, aber ausschlaggebend ist auch das verwendete Kernmaterial, das in Kombination mit der Umwicklung und spezifischen Produktionstechniken Klangfarbe, Projektion, Farbmodulation, Ansprache, Stimmstabilität, Korrosionsbeständigkeit und vieles mehr beeinflusst.

Pro/Contra: Darmsaiten vs. Synthetische Saiten?
Darmsaiten waren aufgrund ihrer Haptik und warmen Klangfarbe bei Musikern lange Zeit die erste Wahl, haben allerdings zwei entscheidende Nachteile: Sie reagieren sehr sensibel auf Temperaturschwankungen und benötigen eine längere Einspielzeit. Die Alternative: Eine Saite mit synthetischem Kern, die durch ihren Klang, schneller Stimmstabilität und Unempfindlichkeit gegenüber Feuchtigkeit überzeugt. Diesen Meilenstein hat Thomastik-Infeld mit der Einführung der Dominant-Saite 1970 gemeistert. 

Welche Auswirkungen hat das Klima oder Luftfeuchtigkeit auf Saiten?
Verschiedene Saitenmaterialien reagieren unterschiedlich auf Luftfeuchtigkeit. Darmsaiten sind sehr empfindlich, sie können bis zu 30% Feuchtigkeit aufnehmen, dehnen sich rasch aus oder ziehen sich schnell zusammen. Synthetische Kernmaterialien sind gegen Feuchtigkeit weitaus resistenter: Nylon (in unseren Dominant und Infeld Rot/Blau Violin-Saiten) nimmt nur etwa 6% Feuchtigkeit auf, Polyester (wie zum Beispiel unsere Dominant Bass-Saiten) sogar nur 3% und der spezielle Werkstoff PEEK (verwendet in allen von Thomastik-Infeld seit 2004 produzierten Kunststoffsaiten) 0%! Stahlsaiten lassen sich von Feuchtigkeit gar nicht aus der Ruhe bringen. Je stärker das Material auf Luftfeuchtigkeit reagiert, desto weniger Stimmstabilität hat eine Saite. Klima- und Temperaturveränderungen beeinflussen allerdings nicht nur Saiten, sondern auch den Werkstoff Holz und damit das Instrument. Zu guter Letzt ist auch Kolophonium nicht vor Feuchtigkeit gefeit und kann sich dadurch verändern. Ein Musiker sollte also immer das gesamte Zusammenspiel im Blick behalten!

Für Musiker gibt es heute eine fast unüberschaubare Vielfalt an Saiten. Was sollte der Musiker bei der Auswahl beachten, in welchen Schritten sollte er vorgehen?
Die richtige Beratung ist beim Saitenkauf unumgänglich. Wir empfehlen daher immer den Gang zu einem lokalen Geigenbauer – dieser hat die Möglichkeit, sich das Zusammenspiel von Spieler, Instrument, Saite, Bogen und Kolophonium anzusehen und -hören und wertvollen Input betreffend der Saitenwahl zu geben. Die Auseinandersetzung mit den eigenen Werkzeugen und individueller Klangvorstellung sind ausschlaggebend für die Saitenwahl, denn so wie jede Saite ist auch jeder Musiker und jedes Instrument einzigartig. Selbstverständlich kann sich aber jeder Musiker bei Fragen zu unseren Produkten auch direkt an uns wenden.

Warum Thomastik-Infeld?
Thomastik-Infeld Saiten sind weitaus mehr als nur ein Klangfaden. Wir entwickeln High Tech Produkte, die Physik, Korrosionskunde, Werkzeugtechnik, Präzisionsmaschinenbau und Elektronik vereinen! Seit 1919 produziert und entwickelt Thomastik-Infeld in Wien – das sind 100 Jahre Erfahrung, Forschung, Entwicklung und Innovation, 100 Jahre des Hinhörens und Verbesserns. All das zeigt sich in der unvergleichlichen Qualität unserer Produkte. Neben unseren hohen Produktionsstandards ist auch leidenschaftliche Innovationskraft Teil der Thomastik-Infeld Philosophie. So können wir kontinuierlich den individuellen und sich verändernden Ansprüchen von Musikern weltweit gerecht werden.  Wir arbeiten eng mit internationalen Künstlern unterschiedlicher Genres zusammen und sind stolz darauf, Musiker wie Ray Chen, Hilary Hahn oder Robert de Maine zur Thomastik-Infeld Familie zu zählen. Auf Nachhaltigkeit in unseren Produktionsprozessen legen wir ebenso viel Wert wie soziale Verantwortung – so unterstützen wir regelmäßig zahlreiche Institutionen, Musikfestivals, Wettbewerbe oder gemeinnützige Organisationen mit Stipendien, Masterclasses und Workshops und versorgen auch Schulen in Bolivien oder Costa Rica mit Saiten, die eine Musikvermittlung in diesem Rahmen sonst nicht durchführen könnten.

Wo stellt Thomastik-Infeld seine Saiten her?
Alle unsere Saiten werden in unseren Entwicklungs- und Produktionsstätten in Wien Margareten hergestellt.

Wie lange dauert der Herstellungsprozess bis zur fertigen Saite?
Die Herstellung einer einzelnen Thomastik-Infeld Saite kann zwischen 90 Sekunden und 10 Minuten variieren, ganz abhängig von Materialien und Herstellungsschritten. Der gesamte Entstehungsprozess einer Saite, also von der Idee zur ersten Testsaite bis zum finalen Endprodukt dauert im Schnitt aber rund zwei Jahre.

Wer entwickelt/testet Saiten bei Thomastik-Infeld?
Unsere Ingenieure und Saitenexperten investieren viel Zeit in die Entwicklungs- und Testphase jeder Saite und feilen kontinuierlich an den Herstellungs- und Messmethoden. Jede Saite soll den Musiker, seine Spielweise und das Instrument gleichermaßen unterstützen und letztendlich nicht nur das Instrument zu Höchstformen bringen, sondern ebenso die Spielfreude und die Ausdrucksmöglichkeiten optimieren.

Welche interessante Fakten zur Geschichte und zur Entwicklung von Saiten können Sie uns erzählen?Innovationsfreude war von Anfang an Teil der Thomastik-Infeld DNA, mehrfach haben unsere Saitenentwicklungen den Musikmarkt revolutioniert. Die erste große Innovation kam bereits in den 20er Jahren mit der Einführung der stimmstabilen Vollstahlkern-Saite, später bekannt als „PRÄZISION“, bei der als Kernmaterial Stahldraht statt Naturdarm verwendet wurde und mit Vorteilen wie einer hohen Langlebigkeit und Unempfindlichkeit gegenüber externen Einflüssen wie z.B. Luftfeuchtigkeit oder Temperaturen überzeugen konnte. 1950 kamen mit Thomastik-Infelds „SUPERFLEXIBLE“ Saiten auf den Markt, die durch Stahlseile als Kernmaterial mit geringer Biegesteifigkeit, hoher Elastizität und Quinten-Reinheit überzeugen konnten. Nur 10 Jahre später begeisterte die 1960 ins Leben gerufene hochelastische „SPIROCORE“ mit einem einzigartigen flexiblen Spiralseilkern die Musikwelt, eine absolute Innovation, da durch die besondere Verarbeitung der Stahlseile eine enorme Flexibilität geschaffen wurde. Der kontinuierliche Innovationsgeist führte 1970 zu der bislang größten Revolution: Erstmals wurden Nylonfäden (Polyamidfäden) erfolgreich als Kernstoff verwendet. Das Ergebnis: „DOMINANT“, unsere bis heute weltweit am meisten gespielte und bekannteste Saite mit synthetischem Kern, die MusikerInnen weltweit seit bald 50 Jahren mit einer ausgezeichneten Symbiose aus naturdarmähnlicher Klangwärme, Beständigkeit gegenüber Luftfeuchtigkeitsschwankungen und Stimmstabilität begeistert. Auf all diese Meilensteine sind wir natürlich sehr stolz. Deshalb sind wir auch stets darum bemüht, die Qualität und den Klang unserer Saiten zu optimieren, denn unsere Kunden verlassen sich auf den Bühnen dieser Welt schließlich täglich auf unser Endprodukt!

Wie oft sollten Saiten ausgetauscht/gewechselt werden?
Hierfür gibt es keine Patentregel. Unterschiedliche Saitentypen, also Darm-, Kunststoffkern- oder Stahlsaiten erlauben naturgemäß eine unterschiedlich lange Nutzung. Auch die Intensität des Spiels, die individuelle Spieltechnik, die tägliche Spieldauer, aber auch biometrische Faktoren wie Handschweiß wirken sich auf die Lebensdauer einer Saite aus. Ebenso spielen klimatische Verhältnisse eine große Rolle und nicht zuletzt wirken sich auch die baulichen Gegebenheiten des Instruments auf das individuelle Belastungsprofil einer Saite aus.
Wir empfehlen immer: Habt Vertrauen in eure Ohren! Wenn die Saiten merklich an Klang verlieren oder nicht mehr so gut ansprechen, ist es an der Zeit zu wechseln.

Können Saiten altern, wenn das Instrument längere Zeit nicht gespielt wird? Werden diese dann unrein/unbrauchbar?
Saiten, die bereits eingespielt wurden und schon länger in Verwendung sind, leiden unter einer längeren Lagerung des Instruments nicht, sie können nach einer erneuten Einspielzeit ganz normal und ohne Klangverlust verwendet werden.

Ist es sinnvoll, für bestimmte Saiten spezielles Kolophonium zu nutzen? Wenn ja, warum?
Kein Streichvorgang funktioniert ohne Kolophonium. Das haben alle Streichinstrumente gemeinsam. Zwar gibt es für jedes Instrument ein eigenes Kolophonium, aufgrund klimatischer Bedingungen ist es aber manchmal hilfreich, Kolophonium mit gleicher Harzbasis zu mischen. Herrschen trockene Verhältnisse wie zum Beispiel in klimatisierten Räumen vor oder kämpft man mit schlechter Bogenansprache, ist es ratsam, Viola- und Violin-Kolophonium zu mischen. Unser Tipp: Zwei Striche von Viola- und einen Strich von Violin-Kolophonium!

Welche Möglichkeiten haben Musiker, Ihre Saiten vor dem Kauf zu testen?
Unsere Saiten kann man bei dem Geigenbauer seines Vertrauens, auf internationalen Musikmessen oder Thomastik-Infeld Workshops testen. Wir sehen uns nicht einfach als Saitenproduzent, sondern vielmehr als Wissensvermittler. Als solcher ist es uns wichtig, unsere Produktvielfalt und die Besonderheiten unserer Saiten transparent zu kommunizieren. Wir arbeiten mit Hochdruck an der Entstehung neuer Plattformen, die einen digitalen Zugang zu unserer Geschichte, unseren Innovationen in der Saitenentwicklung und unserer technischen Expertise bieten. So soll es Musikern ermöglicht werden, sich auch bereits online bestmöglich zu informieren und vorzubereiten!

Wir danken Thomastik-Infeld für das Interview und freuen uns genauso auf unsere weiteren Aussteller der SINFONIMA CUVÉE DARLING, die sich um alles rund um das Thema Streichinstrumenten-Zubehör kümmern: Dies sind Anima Nova, Rainer Bücking, Marie-Pierre DelaruellePaulus Bowparts

Unsere rund 60 ausstellenden Instrumenten- und Bogenbauer findet ihr außerdem in der Gesamt-Ausstellerliste oben rechts unter Downloads. 

Sie haben Fragen, Wünsche, Anregungen? Hinterlassen Sie uns gerne einen Kommentar!

 

 

Text von Isabelle 

 

Bildergalerie (Fotos: Thomastik-Infeld GmbH)

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