Musikgespräche

Musikfest Berlin

Ensemble Modern Orchestra - UA Heiner Goebbels “A HOUSE OF CALL”

Endlich wieder Konzerte! Das Musikfest Berlin bildet den Auftakt der Berliner Konzertsaison für Berliner Orchester und Chöre sowie internationale Klangkörper. Insgesamt 34 Konzerte umfassen mehr als 100 Werke von rund 50 Komponisten. Das Programm reicht von Bach, Händel und Palestrina bis zu Rebecca Saunders, Wolfgang Rihm. Kathrin von SINFONIMA erlebte ein sehr besonderes Konzert: Die Uraufführung von Heiner Goebbels "A House of Call".

Volle Konzentration auf den nächsten Einsatz (Foto: Astrid Ackermann/Musikfest Berlin

Berlin, 30. August 2021, 20 Uhr. Der Saal der Berliner Philharmonie ist für das Konzert des Ensemble Modern Orchestra und seine Uraufführung von Heiner Goebbels „A House of Call“ hell erleuchtet. Bis auf den letzten Winkel ist die Bühne mit Instrumenten, Stühlen und Notenständern gefüllt. Das Dirigentenpult befindet sich rechts außen, nicht wie sonst mittig. In oberster Reihe steht das Schlagwerk für fünf Musiker aufgebaut, darunter neben traditionellen Orchesterinstrumenten ein Flügel, elektrische und akustische Gitarre, Akkordeon, Cymbalon und Sampler, hinter dem Orchester laufen Ventilatoren. 

Musiker des Ensemble Modern Orchestra betreten die Bühne, setzen sich, ordnen Noten, bringen den Saal zum Raunen, ohne Ordnung oder Struktur, mit der Harmonie des Clusters, das beim kollektiven Einspielen erklingt. Kein Innehalten, keine Aufmerksamkeit als der Dirigent Vimbayi Kaziboni den Raum betritt. Er beginnt sofort zu dirigieren. In diesem Moment wird klar, ist das Werk bereits einige Minuten erklungen.

Heiner Goebbels „A House of Call“ erscheint wie eine Mischung aus Konzert und Performance und wird doch als reines Konzert aufgeführt. Rezitationen und Gesänge, Geräusche und Klänge sind zu hören, zerschnitten, repetiert und immer wieder ergänzt, unterbrochen oder unterstrichen durch die Musik. Teils ohrenbetäubend im Tutti, teils intim kammermusikalisch, wenn der Konzertmeister aufsteht und als Solist mit nur wenigen Musikern konzertiert. Immer wieder unterstrichen durch wechselnde Lichtspiele, dezent eingesetzt.

In vier Sätzen lädt „A House of Call“ den Zuhörer auf eine Reise durch Epochen und Länder ein und gleichzeitig zu einer inneren Reise, dem aktiven Zuhören, dem Dabeisein und sich einlassen.

Der erste Teil „Stein Schere Papier“ wird bestimmt durch Sysiphos und das immer Wiederkehrende, sei es durch einen Orgelton, die sich wiederholenden Geräusche einer Baustelle, oder Heiner Müllers Text "Immer den gleichen Stein…“.

Es folgt „Grain de la Voix“, Aufzeichnungen von Sprachen, die fremd und teils mystisch erscheinen. Aufzeichnungen die knacken und rauschen, vom Orchester sanft unterstrichen, tosend überlagert, oder mit dem Sänger die gleiche Melodie singend wie in „1346“.

„Wax and Violence“ lässt Aufnahmen des frühen 20. Jahrhunderts erklingen. Auf Wachsschallplatten hören wir deutsche Sprache: Kolonialisten gefolgt von Schulkindern der Nama, die ein deutsches Kirchenlied singen. Es wird einem eng in der Brust. Erst der Gesang der Haneb lässt wieder Originäres hören.

„When Words Gone“: Stimmen der 1930er, 80er und 2020er: erste Ruhe kehrt ein bei Sprechgesängen aus dem Amazonasgebiet, dem Eichendorffschen Gedicht “Schläft ein Lied in allen Dingen“ vorgetragen durch eine Frauenstimme und die Aufnahme eines Morgengrußes aus Kalymnos. Das Orchester verklingt im Unisono: gesprochen trägt es „What When Words Gone“ von Samuel Beckett vor. Beruhigend, beschwichtigend und besänftigend.

Was für ein Konzerterlebnis!

 

                                                                                                                     Eure Kathrin 

Copyright Astrid Ackermann / Musikfest Berlin

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