Musikgespräche

"Wir alle müssen die Veranstalter ein wenig umdrehen"

Ein Interview mit der Cellistin Katja Zakotnik

Katja Zakotnik ist mit ganzem Herzen Cellistin. Damit hört es aber nicht auf. Sie bildet sich beständig weiter, vor allem im Bereich Musikvermittlung. Mittlerweile ist sie auch zertifizierte Kulturmanagerin und Konzertpädagogin. Wichtig ist ihr die geistige Kreativität, das heißt, nicht stehenzubleiben, sondern sich immer wieder unterschiedliche Konzertinszenierungen zu überlegen. Die ersten Schritte unternahm sie in diesem Bereich vor einigen Jahren mit dem Erhalt des Stipendiums für „Concerto21", einem Meisterkurs, der Teilnehmer dazu anregt, sich nicht mit den gewohnten Konzertschemata abzufinden, sondern phantasievolle und trotzdem umsetzbare Ideen zu formulieren und somit neue Konzertinszenierungen ins Leben zu rufen. Ihre zahlreichen Erfahrungen als Musikerin, sowie mit Veranstaltern, Kollegen und Lehrgängen fasst sie in mehreren Tipps für Nachwuchsmusiker zusammen, die ihr selbst geholfen haben.

Katja Zakotnik mit ihrem Erichson-Cello (Foto: Christian Gaier)

SINFONIMA: Du bist eine Musikerin, die sich beständig und sehr viel weiterbildet, neue Ideen hat und umsetzt, zum Teil ehrenamtlich. Ist das definitiv ein Muss, um als Musiker(in) wahr- und ernstgenommen zu werden oder hast Du einfach Lust dazu, immer wieder etwas Neues auszuprobieren?
Katja: Beides. Ich finde es wichtig, die eigenen Stärken herauszufinden und etwas daraus zu machen, vor allem außerhalb seines Musikinstruments. Es ist wichtig, Neues auszuprobieren, interdisziplinär zu denken, etwas anders zu machen, als das, was z. B. für das Konzert seit 200 Jahren so typisch ist. Wir alle müssen uns dringend dafür einsetzen, dass sich der Konzertbetrieb wandelt. Wir müssen alle die Veranstalter ein wenig "umdrehen". Vor allem kleinere Veranstalter fahren gerne mit dem, was immer funktioniert hat..  Sie haben ihre Gewohnheiten, die Zuhörer/Besucher wären aber meist offener für neue Formen des Konzerts. Also muss man an dieser Stelle überlegen: Braucht es eine komplette Veränderung des Konzerts oder überfordere ich die Menschen damit vielleicht  und kreiere ich es deswegen so, dass jemand eine neue Welt entdecken kann und trotzdem noch halbwegs in seiner Bequemlichkeitszone ist? So wäre es z.B. beim Bachzustand.

Du bietest unterschiedliche Konzertformen an, darunter moderierte Konzerte, Einführungs- oder Kinderkonzerte, und nutzt für die Konzertform, bei der das Publikum auf Sitzsäcken sitzt oder in Liegestühlen liegt den Begriff des "Bachzustands": Ist das Deine eigene Wortkreation und was genau ist der "Bachzustand"?
Der Bachzustand ist in der Tat meine eigene Wortkreation und auch meine eigene Idee der Umsetzung dieser vier Solosuiten für Cello. Der Bachzustand ist ein Konzert, bei dem die Zuhörer in einem Zustand sind, der wacher ist als eine Meditation. Trotzdem ist es kein Wachsein. Wenn Du Dich aufs Sofa legst und intensiv Musik hörst und darin verschwindest, erlebst Du z. B. diesen Zustand. Die Musik spielt nicht einfach nur nebenbei aber es ist auch kein aktives Zuhören. Wer den Bachzustand erlebt hat, fühlt sich danach gereinigt und geht glücklich aus dem Veranstaltungsraum heraus. Man muss sich nicht so bemühen, wie bei einer Meditation, die man aktiv üben muss. Bei Bach geht das ganz automatisch, zumal ich die Suiten in eine andere Reihenfolge gebracht habe. So dass man ganz vorsichtig, zärtlich reinkommt. Von der letzten Suite wird man dann rausgeschmissen. Man wacht auf.

Beispiel eines "Bachzustand"-Konzertes im KulTurm Ludwigshafen (Foto: Christian Gaier)

Du hast Dir diese Reihenfolge also ganz bewusst so überlegt?
Meine gewählte Reihenfolge, habe ich im Nachhinein festgestellt, passt genau mit dem Hörschema überein, das ich bei  Andrea Apostoli (Konzertpädagoge) im Seminar gelernt habe . Es beruht auf der "Music Learning Theory" des Musikwissenschaftlers Prof. Dr. Edwin Gordon. Ich habe mir außerdem die Reihenfolge und die Länge der Pausen zwischen den Sätzen ganz bewusst überlegt und gehe hier zusätzlich stark auf den Bedarf des Publikums ein. Wenn ich merke, dass das Publikum die Spannung nicht gut halten kann, mache ich etwas eher weiter. Wenn es sehr entspannt wirkt, gebe ich ihm gegebenenfalls mehr Zeit durch eine längere Pause, und koste den Spannungsbogen aus.

Wenn es einen "Bachzustand" gibt, könnte man da vielleicht auch einen "Mozartzustand" oder "Brahmszustand" kreieren? Ist das übertragbar? Und wofür eignet sich welche Konzertform?
Der Bachzustand als Erlebnis lässt sich tatsächlich nicht auf andere Komponisten übertragen. Bei meiner Konzertinszenierung "Brahms pur" besteht das Erlebnis zum Beispiel darin, dass sich der Klang aufbaut. Wir sind ein Quartett aber spielen erst zu zweit, dann zu dritt, dann zu viert. Für den Bachzustand ist speziell jene Musik, dieser Ablauf und das Folgen einer bestimmten Komposition nach einem bestimmten Muster entscheidend. Bach ist ja sehr durchstrukturiert. An den Cellosuiten haben  schon Mathematiker dran gesessen. Ich meine, jemand hätte durch Addition oder Multiplikation Hinweise auf Bibelstellen gefunden.
Die Musik Bachs kann man als eine Art Reinigung oder Kontemplation nutzen. Das macht den Bachzustand aus aber ist sehr schwer zu erklären. Wichtig ist die Exaktheit des Spiels und die bewusst gesetzten Atempausen. Ich habe 90 Min Spielzeit, diese müssen komplett konzentriert ablaufen. Die ZuhörerInnen sollen und ich will in der Musik drin sein und auf keinen Fall rauskommen.

Das klingt, als würdest Du Dich stark unter Druck setzen?
Nein, ich fühle mich nicht unter Druck gesetzt. Ich möchte ein schönes Konzert geben. Ich sage mir oft vor Konzerten: jetzt habe ich jeden Ton 3000 Mal umgedreht, da habe ich keine Lust, dass mir das Lampenfieber alles kaputt macht. Und dann kann ich es auf diese Art tatsächlich sehr minimieren. Das mag wie Hohn klingen für jemanden, der extrem unter Lampenfieber leidet. Jeder braucht eine andere Methode. Für mich klappt diese.

Spielst Du am liebsten Bach?
Wenn ich Bach spiele, spiele ich am liebsten Bach. Es ist aber nicht so, dass Bach mein Lieblingskomponist ist, aber wenn er gut gespielt ist, liebe ich ihn. Wenn ich Brahms spiele, spiele ich am liebsten Brahms. Ich lasse mich immer ganz auf die Musik ein.

Wirst Du Konzertformen wie den Bachzustand langfristig in Deine Konzerte einbinden oder möchtest Du, dass das etwas Besonderes bleibt und variierst deshalb lieber?
Ich versuche den Bachzustand noch häufiger als Konzertform anzubieten, weil diese Konzertform von meinen Zuhörern sehr gut angenommen und immer wieder nachgefragt wird. Weil das Wort "Bachzustand" in anderen Sprachen nicht verfügbar ist, gibt es auf Englisch "Sit BACH and relax." und auf französisch "emBACHment immédiat". So kann ich den Bachzustand in anderen Ländern spielen und mit dem Titel ebenfalls gleich zu diesem besonderen Erlebnis einladen. 
Generell bleibt der Bachzustand der Bachzustand und meine neuen Konzerte haben andere Schwerpunkte. Zum Beispiel kreierten meine Pianistin Naila Alvarenga-Lahmann, die Autorin Gabriele Koenig und ich ein Erzählkonzert über Spioninnen. Gabriele Koenig ist da Expertin, hat ein Buch über diese mutigen Frauen geschrieben und das Thema an sich ist wahnsinnig spannend. Die Musik übrigens auch.

Warum ist es so schwierig, Veranstalter zum Umdenken zu bewegen?
Die Auseinandersetzung mit Veranstaltern ist für den Musiker tägliches aber hartes Brot. Mein Eindruck ist, manche Veranstalter sind sehr gemütlich darin, große Namen zu engagieren, mit den richtigen Sponsoren bekommen sie es auch oft hin und ruhen sich dann darauf aus. Das ist das, was schade ist. Nicht nur für das Publikum, denen neue, frische Ideen entgehen. Auch den Musikstudierenden wird etwas Falsches vermittelt, nämlich "Wenn Du viel geübt und Wettbewerbe gewonnen hast, dann kommt ein großer Agent und vermarktet Dich."

Und deshalb gibt es Angebote wie "Concerto21"?
Genau. Der Meisterkurs regt an, weiterzudenken. Macht euer eigenes Ding. Klassische Sternchen spielen oft klassisches Programm, das ist aber nichts Besonderes. Es braucht mehr Musiker, die sich getrauen, Alternativen anzubieten und auch mal anderes Publikum auf klassische Musik zu stoßen. Es gibt Musiker, die z. B. Kinderkonzerte geben und dies mit einem Handpuppenspiel kombinieren. Und dann gehen sie in Städte und Schulen, an denen Kinder sehr wohlerzogen da sitzen und zuhören. Gute Idee, aber wie wäre es, wenn sie an eine Brennpunktschule gehen würden, wenn es z. B. um Integration geht?

Du hast turbomäßig, innerhalb von einem Jahr, Kulturmanagement studiert. Ist Dein langfristiges Ziel, die Seite zu wechseln, von der Musikerin zur Veranstalterin?
Das stimmt, ich habe das in der kurz-möglichsten Zeit durchgezogen. Das Studium in Ludwigsburg war vom Material über die Dozenten absolut top. Mit diesem Handwerkszeug kann ich gut arbeiten. Ich könnte mir vorstellen, eigene Veranstaltungen zu organisieren, aber ich möchte auf jeden Fall beim Cello bleiben. Und dafür üben. Nicht mehr üben können wäre mein Ende. Die Seite komplett zu wechseln würde immer heißen, nicht mehr (genug) üben zu können. Das hört und spürt man aber einfach, wenn jemand nicht täglich übt.

Weshalb ist Cello Dein Trauminstrument?
Ich wollte eigentlich Sängerin werden, aber meine Mutter sagte damals, "Wenn Du krank bist, kannst Du nicht singen. Wenn Du aber ein Instrument dabei hast, kannst Du theoretisch auch mit Fieber auf die Bühne." Da hatte sie schon sehr recht.
Es hat sich dann mit dem Cello so ergeben. Und ich liebe es, das man dazu singen kann, vor allem wenn das Cello die Männerstimme übernimmt. Sänger können einen emotional richtig fertig machen, finde ich. Du sitzt da und heulst Rotz und Wasser, wenn jemand richtig gut singen kann. Gerade bei Sängern mit dem gesungenen Wort geht es mir sehr nahe und ich finde, man kann diese Stimmung sehr gut auch mit dem Cello umsetzen. Man kann Worte mit dem Bogen formen.

Wer hat Dein Cello gebaut?
Als gebautes Instrument habe ich ein Cello, was total mein Traum ist, einen Neubau von Geigenbauer Christian Erichson. http://www.christian-erichson.de/ Dies ist die Kopie eines Cellos, das ich mal für 2 Jahre gestiftet bekam. Das Stiftungsinstrument war toll, aber für mich ein zu großes Instrument, das mir ständig Ärger gemacht hat. Es gab immer wieder Risse an den Zargen, die aus weichem Pappelholz waren und sich deshalb ständig verzogen haben. Ich war deshalb häufig beim Geigenbauer. Ich sagte ihm: "Genau dieses Cello hätte ich gern, nur ein bisschen kleiner und dass es mir nicht immer Ärger macht." Herr Erichson antwortete: "Baue ich Ihnen."
Mein Cello wurde also gebaut und das war der Treffer ins Schwarze. Ich merke, dass der Körper mitzieht, wenn ich spiele. Spanne ich bestimmte Muskelpartien an, klingt das Cello anders als wenn ich total relaxt bin. Ich bin total begeistert von diesem Cello. Wenn es hier brennen würde, würde ich erst die Kinder retten und dann das Cello.

Welche Stücke/Musik magst Du am liebsten, unabhängig vom eigenen Spiel?
Ich mag gern die volle Portion, wenn es so richtig losgeht, sehr gerne Orchesterkonzerte, die mich richtig umhauen. Tschaikowsky, Bruckner oder Sibelius' Finlandia kann ich zehn Mal hintereinander hören.
Ich mag auch Improvisation, wenn sich etwas entwickelt, fremde Kulturen oder auch Kammermusik. Aber die Musik muss sehr sauber gespielt sein, da bin ich sehr empfindlich Schwieriger ist allerdings, wenn nicht zusammen geatmet wird. Es muss klar sein, wie das Stück harmonisch geschrieben wurde, also dass eine Phrasierung atemtechnisch richtig ausgeführt wird. Das lernt man in der Hochschule häufig nicht. Wenn ich aber im Konzert nicht atmen kann, kann ich die Musik auch nicht aufnehmen. Ich liebe es, wenn ich Neues lerne und in dem Moment Dinge entstehen. Jazz ist eine sehr vielseitige Seite der Musik, auch Free Jazz finde ich wichtig. Bis auf Techno höre ich alles ganz gern, auch Pop und Rock, morgens darf es SWR1 im Radio sein. Man merkt auch schnell, ob etwas dahinter ist. Wenn das Handwerk stimmt, ist es mir egal ob Pop, Rock oder Klassik.
 

Übrigens: Für die Adventszeit haben Katja und SINFONIMA sich etwas gemeinsam ausgedacht. Was das ist, sehen Sie jeden Sonntag auf SINFONIMA Facebook und Katja Zakotnik auf Facebook.

 

 

Text von Isabelle 

 

1. Finde heraus, was Deine Stärken sind, geh' raus, probiere etwas aus. Mache etwas anders. Denke interdisziplinär.

2. Wir alle müssen uns dafür einsetzen, dass man vom Musikberuf leben kann. Sagt Veranstaltern von Anfang an: Ich habe so und so viel Arbeit reingesteckt. Das Programm ist fertig und ausgereift, dann kann ich auch Geld dafür nehmen. Niemand wird Dich entdecken, wenn Du für 20 EUR irgendwo spielst. Fang an zu rechnen, mach Dir klar, wie Deckungsbeiträge funktionieren.

Ich hatte das Glück, 2010  im Mentorinnenprogramm der Kaete-Ahlmann-Stiftung aufgenommen worden zu sein und hatte eine Steuerberaterin als Mentorin. Sie war mein absoluter Gegensatz, aber das war das Beste, was mir passieren konnte. Sie hat mit mir alles durchgerechnet. Wir Musiker müssen dafür sorgen, dass wir für unsere Arbeit entsprechend bezahlt werden.

3. Lass Dir nicht ständig von anderen sagen, was Du kannst und was Du nicht kannst. Es gibt immer Menschen, die versuchen, einen herabzusetzen. Ich nehme meine Konzerte immer mit Aufnahmegerät auf und kann dann überprüfen, wie meine Leistung/Performance war. So kann ich immer wieder selbst reflektieren. Dabei kann man auch mal hinfallen, dann muss man eben wieder aufstehen. Wichtig also: Lass Dir nicht an den Karren fahren, hör auf, Dich mit anderen zu vergleichen.

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