Musikgespräche

Streichinstrumente sind in sich perfektionierte Objekte

Dem nebenberuflichen Rockmusiker mit Gesangsausbildung merkt man seine absolute Begeisterung in seinen Erzählungen an. Er sprach mit SINFONIMA über seinen Beruf, über perfektionierte Geigenbaukunst, die Ähnlichkeit zwischen Geige und Stimme und seinen Anspruch, immer er selbst zu sein. 

Lieber Herr Haensel, Geigenbauer ist ein außergewöhnlicher Beruf. Was hat Sie dazu bewegt, diesen Beruf zu erlernen und woher kommt Ihre Begeisterung?
Ich habe tatsächlich im September 2017 mein 25-jähriges Jubiläum als Geigenbauer gehabt. Vor 25 Jahren habe ich meine Lehre begonnen und es nie bereut. Und das war auch einer der Gründe, weshalb ich mich dafür entschieden habe. Ich sagte mir: "Ich möchte keinen Beruf haben, bei dem ich mich auf die Rente freuen MUSS." Sondern mir war ganz wichtig, dass mir die primäre Tätigkeit Freude bereitet.

Das heißt, Sie werden auch während der Rentenzeit weiterarbeiten?
Ich kenne keinen Geigenbauer, der zu Rentenbeginn den Schnitzer beiseitegelegt hat. Die meisten nehmen ihn mit ins Grab. Am Ende des Tages lege ich die Schnecke beiseite, die ich geschnitzt habe und das macht mir wahnsinnig viel Freude.
Auch habe ich damals mit sechzehn/siebzehn Jahren schon viel Musik gemacht und mich für Instrumente und ihre Historie interessiert. Diese selbst zu bauen hat mich schon immer gereizt. Ich habe schon vor der Ausbildung während der Schulzeit künstlerisch gearbeitet und das wollte ich ausbauen.

Sie fertigen sowohl detailgetreue Kopien der alten Meister als auch nach eigenen Entwürfen entstandene Modelle an. Was gefällt Ihren Kunden an den neu gebauten Instrumenten, im Vergleich zu den alten?
Ich habe schon von mehreren Musikern bestätigt bekommen, dass sich meine neu gebauten Instrumente beim Spielen im Anspracheverhalten ähnlich anfühlen, wie alte Geigen. Das empfinde ich als großes Kompliment, weil dies nicht immer selbstverständlich ist.
Prinzipiell ist es aber nicht so, dass die neuen Geigen schlechter sein müssen. Das Preis-Leistungsverhältnis ist bei den neuen Instrumenten unschlagbar. Die alten Instrumente sind teuer, haben höhere Wartungskosten und eine höhere Anfälligkeit für Reparaturen. Dies fällt alles bei einem neuen Instrument weg.

Wie kommen die höheren Wartungskosten oder die Anfälligkeit für Reparaturen bei Altinstrumenten zustande?
Meist haben sie schon Vorbeschädigungen, sind vielleicht schon einmal heruntergefallen und bereits repariert worden, während man bei den neuen Instrumenten eher die Zuverlässigkeit hat, dass man im Laufe seines Musikerlebens nicht mit großen Problemen rechnen muss. So lange ein guter Geigenbauer lebt, gibt er eigentlich auch eine lebenslange Garantie auf sein gebautes Meisterinstrument.

Ist damit zum Beispiel eingeschlossen, wenn der Klang nicht stimmt und der Musiker an diesem etwas verändert haben möchte?
Ein Musiker kauft ein Instrument, weil er sich in den Klang verliebt. Normalerweise möchte er daran nicht unbedingt etwas verändern, weil dieser Klang Grundlage der Kaufentscheidung ist.
Erst wenn das Instrument gemeinsam mit dem Musiker eine Einheit bildet, ist es "fertig". Dafür muss natürlich gut zusammen gearbeitet werden. Dies ist ein Prozess, der sich entwickelt. Um das Optimum zu erreichen kann es durchaus sein, dass nach einem Jahr noch etwas nachgestellt wird.

Das heißt, Instrumente verändern Ihren Klang mit dem Alter?
In gewisser Weise und geringfügig, ja. Eigentlich ist es so, dass sich der Klang mit den Jahren auf einem gut bespielten Instrument verbessert. Er wird voller, spricht leichter an und es kommt normalerweise zu einer besseren Spielbarkeit, im Vergleich zu einem Instrument, das lange ungenutzt irgendwo herumliegt, sei es jetzt alt oder neu.

Sie sind Preisträger mehrerer Medaillen, u.a. haben Sie 2015 den deutschen Musikinstrumentenpreis für eine Violine gewonnen und haben z.B. auch drei Goldmedaillen bei einem Wettbewerb in Italien gewonnen. Warum meldet man sich für Wettbewerbe an?
Gleich nach meiner Lehrzeit habe ich bereits an einem Wettbewerb teilgenommen und bin glaube ich, 30. geworden (lacht). Für den Anfang war das nicht schlecht.
Prinzipiell kann man bei Wettbewerben prüfen wo man steht, gerade wenn man dies z. B. am Anfang der Karriere, nicht so gut einschätzen kann. Wenn man dann anfängt zu gewinnen, ist das natürlich eine große Auszeichnung.
Sobald man bei Wettbewerben Erfolg hat, merkt man, dass die Reputation tatsächlich steigt. Die Mundpropaganda, das Weitersagen und das Von-Anderen-Empfohlen-Werden, ist das hauptsächliche Argument beim Geigenbau. Die Reputation, der gute Ruf, ist das Wichtigste. Durch solche Wettbewerbe und Erfolge kann man bewirken, dass die Leute Vertrauen haben und ihr Geld in eines meiner Instrumente investieren wollen.

Wenn Sie diese Frage beantworten möchten bzw. dürfen: Wie teuer war das teuerste Instrument, das Sie bisher verkauft haben?
Das war das Cello, für das ich eine Goldmedaille bekommen habe, es klang unglaublich gut. Ich habe es deshalb für knapp 30.000 EUR verkauft. Man weiß natürlich nach 25 Jahren, was man tut und was man kann, aber manchmal gibt es dennoch diese magischen Momente, in denen man selbst fassungslos ist, was einem da gelungen ist. 

Eigentlich erstellen Sie nicht "nur" Instrumente, sondern "Kunstwerke" im übertragenen und eigentlichen Sinn. Mal kleinere, mal größere. Ich sehe hier in Ihrem Atelier in der 1. Etage auch ein Kunstwerk. Was hat es damit auf sich?
Ich bezeichne mich als Künstler und Kunsthandwerker, Geigenbau ist für mich eine Ausdrucksform als solche. Ich suche immer nach dem authentischen Ausdruck und habe einen Anspruch daran, dass es ganz und gar durchdacht ist. Ich hinterfrage bei allem: Was möchte ich tun? Was macht mich aus? Was entspricht mir? Ich habe neben dem Geigenbau viel mit Ölfarben gemalt, eines dieser Kunstwerke können Sie im ersten Stockwerk meines Ateliers bewundern. Die anderen Bilder die Sie hier sehen können sind auch alle von mir. Wenn man ein Instrument baut, gibt es unendlich viele Möglichkeiten, seine Persönlichkeit einzubringen. Auch hier habe ich künstlerischen Anspruch. Egal was ich tue, es muss authentisch sein.
Momentan versuche ich einen Weg zu finden, beides cross-over zu machen, d. h. zweidimensionale Kunst auf eine hölzerne Leinwand zu bringen. Dazu verarbeite ich Materialien und Lacke, die ich auch beim Geigenbau verwende. Daraus entsteht eine neue Form von Kunst. Ich verbinde Historisches mit Gegenwärtigem und mache etwas Neues daraus.

Warum sind Instrumente standardmäßig in den Naturtönen gehalten, statt rot, blau oder grün zu sein, obwohl die Lacke in allen Farben existieren?
Ich habe schon eine farbige Violine hergestellt und zwar für den Geiger von "Fiddler's Green". Er spielt eine grüne Geige, die zudem antik gestaltet ist. Ich habe einen gelben Grund als Basis und grünen Lack darüber lackiert. Das war spannend. Im Prinzip kann man sagen, dass sich die Farben von Geigen in den warmen Erdtönen bewegen, was auch dem natürlichen Holzton entgegenkommt, also gelb, schwarz und rot in verschiedenen Mischformen. Habe ich eine rote Geige und diese hat abgenutzte Stellen, dann kommt darunter ein warmer, samtiger Holzton zum Vorschein. Das gibt dann ein harmonisches Ganzes, weil diese Töne im Farbkreis nebeneinander liegen. Grün liegt jedoch auf der Skala des Farbkreises gegenüber und gibt einen harten Bruch, einen starken Kontrast. Es wirkt einfach nicht harmonisch. Rot ist die Farbe, die man mit Sympathie, Verliebtheit und Liebe verbindet, die Farbe, mit der Emotionen geweckt werden. Kalte Farben mischen sich nicht so gut mit dem Holzgrund wie die warmen Farben. Aber das habe nicht ich erfunden, das war schon vor 500 Jahren bekannt.

Kann man sagen, dass Menschen mit dem harmonischen Aussehen eines Instrumentes auch den Klang verbinden? Man hat eine bestimmte Hörerwartung, genauso wie im Beispiel von alten und neuen Instrumenten...
Das ist ein großes Ganzes und der Grund, weshalb ich diesen Beruf seit 25 Jahren liebe. Er ist so vielschichtig und man lernt nie aus. Ein Streichinstrument ist in sich ein perfektioniertes Objekt, von allen Seiten betrachtet macht es einfach Sinn.
Seit 500 Jahren ist das Prinzip an sich nicht verbessert worden, seit Andrea Amati schaut eine Geige so aus und funktioniert auch so.
Sicherlich sind die Instrumente heute etwas größer, man hat die Saiten verlängert und es gibt neue Materialien für diese, das sind aber alles Kleinigkeiten. Das gesamte, ästhetische und funktionale Konzept ist seit den Ursprüngen unverändert, eben weil es aus allen Aspekten heraus bereits perfekt ist. Ich entwerfe auch eigene Modelle mit kleinen Abwandlungen, das Prinzip wird jedoch nicht verändert. In der heutigen Zeit kann man nur die ursprüngliche Vollkommenheit alter Instrumente bestaunen.

Blick in die Zukunft: Geige aus dem 3D-Drucker. Machen Ihnen solche Entwicklungen Angst, d. h. fürchten Sie um Ihren Berufsstand oder lassen Sie dies ganz gelassen auf sich zukommen?
Das sehe ich total gelassen. Bis jetzt sind diese ganzen Versuche qualitativ eher nicht vergleichbar. Das, was in der Theorie versprochen wird, nämlich dass eine Geige einmal entworfen, immer gleich gut ist und dann immer wieder geklont werden kann, das ist in der Praxis nicht möglich. Die Massenproduktion eines solchen Instrumentes wird meines Erachtens niemals ein Handgefertigtes aus Holz ersetzen.

Gibt es einen Künstler oder eine Künstlerin, die Sie momentan sehr begeistert, gerne auch aus Ihrer Sicht ein echter Geheimtipp?
Ich bin schon ziemlich sängerfixiert. Was mich prinzipiell sehr fasziniert, das sind die guten Countertenore, also im klassischen Bereich z. B. Philippe Jaroussky. Den finde ich tatsächlich super. Er hat eine wahnsinnige Feinheit und Leichtigkeit in seiner Stimme und macht Barock-Arien und eher historisch-angehauchte Stücke, was seiner leichten, beweglichen Stimme auch sehr entgegenkommt. Das finde ich persönlich sehr interessant.

Sie sind selbst Rockmusiker und lieben Musik. Bereichert dies Ihren Geigenbau?
Angefangen habe ich in einer Band namens "Merlons". 1992 haben wir unsere erste CD herausgebracht. Es lief ganz gut, ich habe den Geigenbau und die Band beides parallel laufen lassen. Über die Jahre haben wir neun CDs herausgebracht und sind europaweit auf Tour gewesen.
Selbst Musik zu machen, war immer schon Teil meines Lebens und eine gute Kompensation des Berufs. Als Instrumentenbauer arbeitet man ja für sich, hat seine Ruhe. Es ist eine sehr kontemplative Arbeit an der Werkbank, man braucht auch sehr viel Geduld, um zu seinem guten Ergebnis zu kommen. Und die Rockmusik ist quasi das extrovertierte Element und der Ausgleich, in Kontakt mit Menschen zu kommen und sich auf expressive Art auszudrücken. Das war immer schon eine gute Kombination für mich.

Auf welchen historischen Instrumenten haben Sie gespielt?
Wir spielten Rockmusik auf historischen Instrumenten. Mein Part war die Drehleiher, meine Schwester hat gesungen, dazu kamen noch Schalmeien und Dudelsäcke, kombiniert mit Instrumenten der Rockmusik, also E-Gitarren, Bass und Schlagzeug. Ich habe die Musik nie wirklich historisch gesehen oder plakativ dargestellt, wir haben zum Beispiel auf der Bühne keine Kostüme getragen oder so. Ich wollte immer Altes und die Musik von heute miteinander verbinden und etwas ganz Neues, Authentisches kreieren. Ich war immer auf der Suche nach dem, was zu mir passt und mein Lebensumfeld spiegelt. Blues-Rock hätte zum Beispiel nicht so zu meiner Welt gepasst. So wurde es dann der Mittelalter-Rock, der es auch nach dem Bandwechsel in 2012 geblieben ist.

Komponieren Sie selbst?
Ja, die Stücke komponieren wir alle selbst. Und ich bin seit 25 Jahren GEMA-Mitglied (lacht).

Wo kann man Sie mal live erleben oder online mehr darüber erfahren?
Seit 2012 spiele ich in einer Band mit dem Namen "Ignis fatuu" und wir spielen auf den "Wacken Winter Nights" vom 23. - 25. Februar 2018.
Da ist also die Seite Geigenbau und die Seite Musik. Wobei sich die beiden Komponenten wiederum über die Musik und über das, was guten Sound, einen guten Klang ausmacht, verbinden.
Ich habe eine langjährige Gesangsausbildung in Pop- und Rock absolviert und bin Sänger der Band. Dadurch lernt man, zu spüren, was ein guter Klang ist. Die Parameter, die einen guten Klang ausmachen, sind bei Geigen und der Stimme zum Beispiel gleich. Fragen, die man sich bei beiden, Geige und Stimme stellt, sind: Klingen die Konsonanten gut? Wo ist der Klanganteil drinnen? Wie ist der Obertonreichtum - klingt es frei oder ist es irgendwo blockiert? Diese Dinge sind beim Gesang und bei der Geige sehr ähnlich. Dadurch, dass ich dies vom Gesang her kenne, löst der Klang einer Geige ein körperliches Gefühl in mir aus. Zum Beispiel, wenn es irgendwie verklemmt ist oder nicht schön klingt, merke ich, wie ich es selbst adaptiere. Ich spüre: "Da passt etwas nicht!" Diese Kenntnisse sind für meine Geigenbau-Tätigkeit ganz hilfreich. Ich habe zum Beispiel langjährige Erfahrung darin, wie man einen Klang optimal einstellt. Ob es bei der Stimme um die Aufnahme einer CD geht, eine Mikrofonierung oder wie man später abmischt, dabei muss man sehr feinfühlig sein und letztendlich ist dies bei der Stimme wie bei einer Geige ganz ähnlich, um den optimalen Klang hinzubekommen.


Wir danken Ihnen herzlich für das schöne Gespräch! 

 

 

Text von Isabelle 

 

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