Musikgespräche

Boris Kusnezow - Pianist aus Leidenschaft

BORIS KUSNEZOW konzertiert als Pianist auf großen Bühnen wie der Carnegie Hall oder dem Mariinski-Theater. Durch seine beruflichen Errungenschaften könnte man meinen, er wäre ein Nimmersatt, unruhig sitzend, schwer zufrieden zu stellen. Entspannt erzählt der Teamplayer jedoch von dem, was er neben der Musik zum Atmen braucht. Davon, was es für ihn ausmacht ein Pianist zu sein und warum er sich gerade "abfreut".

Boris Kusnezow | © Zuzanna Specjal

Sie sind Pianist von Kindesbeinen an, beschäftigen sich jeden Tag mit Ihrem Beruf und Ihrer Leidenschaft. Gibt es andere Dinge, die Ihnen ähnlich wichtig wie die Musik sind?
Briefmarken sammle ich nicht und auch ein anderes ernsthaftes Hobby würde ich eher nicht nennen können. Aber was mir wichtig ist, ist Zeit. Zeit mit Familie und Freunden zu verbringen, zu reisen, zu musizieren, das Leben zu genießen. 
In den letzten zehn Jahren habe ich alles auf eine Karte gesetzt, um professioneller Musiker zu werden. Aber da mich die Musik erfüllt und ich sie wahnsinnig gerne mache, habe ich nicht das Gefühl, dass mir sehr viel fehlt.

Wenn Sie „alles auf eine Karte gesetzt“ haben, schwingt mit, dass es auch andere berufliche Optionen gegeben hätte?
Der Wunsch Musiker zu werden kam bei mir relativ spät, nicht schon als Kind oder Jugendlicher. Das Musikstudium war ein Wettbewerb mit mir selbst. Mit meiner Abiturnote gab es auch andere Optionen, zum Beispiel hatte ich ernsthaft über ein Wirtschaftstudium nachgedacht.
Als ich im Alter von vierundzwanzig Jahren den Deutschen Musikwettbewerb gewann - ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, wie mir das damals gelang, kamen immer mehr Konzertanfragen. Das war der Moment, in dem ich spürte, wie sehr es Spaß macht, auf der Bühne zu stehen.

Warum ist denn genau das Pianistendasein der perfekte Beruf für Sie?
Für mich fühlt sich das Musizieren weniger wie ein Beruf im klassischen Sinne an. Wenn ich auf einem Formular meinen Beruf angeben muss, frage ich mich immer wieder, was in das Feld gehört. Aber ja, von außen betrachtet ist das mein Beruf. Für mich klingt das Wort zu ernsthaft, wie etwas, das man mit böser Miene am Schreibtisch erledig. Ich mache Musik gerne und deshalb ist das Wort Beruf für mich fast schon zu seriös.

Was im Kontrast zu dem steht, wie Sie auf der Bühne aussehen, nämlich sehr ernsthaft und seriös…
Das höre ich häufig, denn viele meiner Freunde sagen: wenn das Publikum wüsste, wie ich im Privatleben bin, fiele es aus allen Wolken. Vermutlich spiegelt sich in meiner Mimik die Konzentration wider.

Sie sind gerade zum Professor berufen worden. Was macht eine solche Position für Sie aus?
Zunächst bedeutet es, dass ich ab Oktober die maßgebliche Verantwortung für die berufliche Entwicklung von vielen Studierenden übernehme. Der Lehrer prägt den Schüler nicht nur musikalisch, sondern auch persönlich. Er bereitet auf das vor, was kommen wird. Eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe in meinen Augen, auch wenn ich natürlich als Kammermusikprofessor nicht den alleinigen Einfluss ausübe. Es geht darum, dass die Studierenden nach ihrem Abschluss im Beruf Fuß fassen und ein Leben lang Glück aus der Musik schöpfen können.
Außerdem glaube ich, dass sich das Bild des Professors heutzutage geändert hat. Ich möchte ein Professor auf Augenhöhe sein, nicht diktieren, wie etwas zu sein hat. Es geht darum, den Studierenden ein Handwerkszeug mit auf den Weg zu geben, sie zu inspirieren und sie dadurch groß zu machen. Am Ende des Prozesses muss ich als Lehrer an Notwendigkeit verlieren, so wurde ich selbst ausgebildet!

Das klingt, als hätten Sie sich schon lange mit dem Unterrichten auseinandergesetzt. Seit wann wussten Sie, dass die Lehre Sie interessiert und gab es einen Auslöser?
Mit zehn Jahren hatte ich meine erste Klavierschülerin, die etwa 30 Jahre ältere Nachbarin. Ich glaube, es war furchtbar, wie ich versuchte ihr das Klavierspielen beizubringen. Aber ich bekam damals 10 DM. Dieser kapitalistische Anreiz hat mich vermutlich in pädagogische Höhen katapultiert (lacht).  

Haben Sie dann all das Geld für Noten ausgegeben? Oder doch eher Bonbons? Was haben Sie damit gemacht?
Wahrscheinlich habe ich schon damals begonnen, für meinen eigenen Flügel zu sparen. Diesen lang ersehnten Traum habe ich mir vor kurzem erfüllt.

Es ist immer wieder spannend zu hören, wie Musiker zu ihrem Instrument gefunden haben. Wie war das bei Ihnen?
Während der letzten Wochen, in denen wegen Corona keine Konzerte stattfanden, hatte ich die Möglichkeit, mit meiner Freundin gemeinsam zu verschiedenen Händlern in ganz Deutschland zu reisen. Man muss ein Instrument spielen, es testen, auch das gleiche Modell kann so unterschiedlich klingen. Als ich dann mein Instrument gefunden hatte, wurde es für mich persönlich eingestellt, intoniert. Es macht mich schon sehr glücklich, darauf täglich üben zu können.

Demnach fanden Sie Ihren Flügel innerhalb kürzester Zeit!
Mein Leben lang spiele ich schon auf diesen Instrumenten. Das erleichtert zu erkennen, wenn es passt. Und wenn es irgendwann nicht mehr der Fall sein sollte, kann ich es wieder verkaufen. Eine zu große emotionale Bindung zwischen uns wäre vielleicht gar nicht so gesund.
Vermutlich wäre das anders bei einer wertvollen Violine, einer Stradivari. Da hält man ja immer ein Stück Geschichte in der Hand. Mein Flügel von 2002 ist eher ein Gebrauchsgegenstand für mich, ein Werkzeug. 

Studieren Sie darauf auch viel zeitgenössische Musik ein? 
Sicherlich bin ich nicht Spezialist für zeitgenössische Werke, auch wenn ich in den letzten Jahren immer wieder Uraufführungen gespielt habe, so zum Beispiel Musik von Wolfgang Rihm oder Stefan Heucke. Es ist immer wieder spannend, sich damit auseinanderzusetzen und am Puls der Zeit zu sein.

Haben Sie ein Lieblingswerk, einen Ohrwurm?
Das wechselt immer wieder. In jedem Fall kann ich mich an Mozart nicht satthören. Bei anderen Komponisten geht zeitweilig das Interesse zurück, bei ihm ist es eine Konstante. Schon mein ganzes Leben lang. Von morgens bis abends kann ich ihn hören, er lädt mich fast wie einen Akku wieder auf. Mozart ist meine erneuerbare Energie.

Sie sind weltweit als Kammermusikpartner unterwegs. Wie sehen Sie Ihre Aufgabe in dieser Position?
Kammermusik spielen ist nicht nur der Konzertauftritt als solcher. Einander sehen, proben, essen, reisen, konzertieren - all das spielt mit rein. Ein großes Happening. Gute Kammermusik entsteht, wenn sich Menschen wohl und frei fühlen, einander vertrauen. Wenn man eine solche Atmosphäre herstellt, ist das Resultat am Ende besser. Sicherlich liegt darin eine meiner Stärken, Musiker auf der Bühne zu entspannen, als der ruhende Pol zu fungieren, auf den sie sich verlassen können.

Haben Sie selber Zeit, Konzerte zu besuchen?
Leider nicht im Wochenrhythmus, aber immer wieder gerne. Das letzte Konzert, das ich hörte, war mit Tobias Feldmann der Bartoks Violinkonzert spielte. Ein wunderbarer Abend.

Welchen Wunsch möchten Sie sich als nächstes erfüllen, nachdem Ihr Berufswunsch des Professors gerade Wirklichkeit wurde?
Ein guter Freund prägte für mich das Wort „abfreuen“. Bis ich richtig realisiert habe, dass ich Professor geworden bin, vergeht sicherlich noch eine Weile. Danach kommen neue Wünsche von ganz alleine.


Vielen Dank, Boris Kusnezow für das kurzweilige Interview!

© Fotos von Zuzanna Specjal

Interview von Kathrin

 

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